Es gibt etwas, das ist fixer Bestandteil einer Indienreise. Es gehört einfach dazu, ist sozusagen inklusive. Jeder Indien-Reisende den wir kennengelernt haben, hat es erlebt – wirklich JEDER. Es ist nicht schön und man spricht auch nicht so gerne darüber: die Sprühstuhl-Kotzorgie.
Die meisten Touristen bekommen ihn gleich bei Ankunft in der großen, stinkenden Stadt, wir bringen ihn bereits aus Jaisalmer mit: den berühmten „Delhi-Belly“. Um den „Delhi-Belly“ aus der Wüstenstadt bis in seine Heimat Delhi zu bringen, musste Martin erstmal 18 Stunden – nein das ist kein Tippfehler, es waren tatsächlich 18 Stunden – tapfer auf einer kleinen, dreckigen, ruckelnden, indischen Zugtoilette ausharren. Bewaffnet mit einer Flasche Wasser, einer Rolle Klopapier und einem Blisterstreifen Imodium akut. Sollte noch jemand von euch planen, den Durchfall seines Lebens auf einer Zugtoilette zu verbringen, dem sei von indischen Zugtoiletten aus Erfahrung abgeraten. Deren Ausstattung ist nämlich ziemlich spärlich: ein Loch im Boden – mit einer Spülung die dem leichten plätschern einer Wasserquelle ähnelt und somit sinnlos ist – dafür hat man jedoch Gesellschaft von Kakerlaken.
Nach einer gefühlten Ewigkeit endlich in Delhi angekommen, checken wir in einem Hotel im Backpacker-Viertel Paharganj ein. In unserem Zimmer schlägt uns ein Schwall Currygeruch entgegen (das Zimmer liegt direkt unter der Küche) und Martin verzieht gequält das Gesicht und verschwindet sofort wieder aufs Klo.
Delhi selbst ist unglaublich laut, es stinkt und der Verkehr ist unvorstellbar. Wir haben keine besonders große Lust uns durch die Stadt zu den typischen Sehenswürdigkeiten zu kämpfen und so beschränkt sich unsere Sightseeing-Aktivität auf eine Irrfahrt mit Delhis-U-Bahn zum „Self-Service-Laundry-Center“ ins Studentenviertel. Wie kleine Kinder vorm Fernseher sitzen wir vor den Waschmaschinen und sehen dabei zu, wie unsere Wäsche zum ersten Mal seit wir in Indien sind so richtig sauber wird. Keine Handwäsche am dreckigen Flussufer, wo Wäscherinnen unsere arme Kleidung mit Waschnüssen malträtieren und unsere T-Shirts diesen groben Umgang mit vielen kleinen Löchern quittieren. Nein, dieses Mal wird unsere Wäsche mit duftendem Waschmittel verwöhnt.
Wenn man in Indien ist, sollte man sich zumindest einen Bollywood-Schinken reinziehen und weil wir die Bollywood-Hauptstadt Mumbai auf dieser Reise ausgelassen haben, beschließen wir hier in Delhi ins Kino zu gehen. In Delhi, in der wie in jeder indischen Großstadt der Kontrast zwischen Arm und Reich nicht größer sein könnte, gibt es große westliche Kinokomplexe, die unseren um nichts nachstehen aber es gibt auch noch die kleinen, alten Kinos mit Charme, wo man ein Ticket für umgerechnet einen Euro kaufen kann. Genau so ein Kino besuchen wir. Die Auswahl des Films ist schnell getroffen – es spielt nämlich nur einen Einzigen. „Kahaani“ heißt er, und könnte von unseren Vorstellungen eines Bollywood-Films nicht weiter entfernt sein. Statt leuchtenden Saris, tanzenden halbnackten wunderschönen Inderinnen und peinlichen „Pornoschnurrbart-Schauspielern“ sehen wir einen mittelmäßigen Action-Hollywood-Abklatsch. Wir hätten genauso gut einen Stummfilm ansehen können, verstanden haben wir eh nix, aber dafür hatten wir genug Zeit, den wunderschönen Kinosaal zu bestaunen und die Kakerlaken zu zählen, die um unsere Füße herumtänzelten. Der Optik nach zu urteilen war das Kino früher mal ein Theater. Es gibt eine Bühne und Logen und überhaupt sieht alles zwar sehr verwahrlost aber gleichzeitig irgendwie auch sehr edel aus. Popcorn, Chips und Cola gibt es natürlich auch.
Ansonsten haben wir uns bis zu unserer Abreise nach Amritsar die meiste Zeit im Hotel vor dem Lärm und Stress der Großstadt versteckt. Der Nachtbus spuckt uns früh morgens in Amritsar aus. Die Stadt liegt im Bundesstaat Punjab und dass wir nun schon ziemlich weit im Norden sind, merken wir vor allem an den Temperaturen. Fröstelnd positionieren wir unsere Ellbogen in Kampfstellung und boxen uns durch die Horde Rikschafahrer, die wie Geier vor dem Bus warten, schnappen unsere Rucksäcke und beginnen über den Preis der Fahrt zum Hotel zu feilschen.
In Amritsar freuen wir uns am meisten auf den wunderschönen goldenen Tempel, den wir gleich am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang besichtigen. Der Tempel liegt mitten in der Stadt und ist das größte Heiligtum der Sikhs. Die Sikhs sind eine Glaubensgemeinschaft in Indien, die man sofort an ihren bunten kunstvoll gebundenen Turbanen und den langen Rauschebärten erkennt.
Frauen wie Männer müssen bei Betreten des Tempels die Schuhe ausziehen, die Füße waschen und den Kopf bedecken. Martin sieht mit seinem knallorangenen Tuch am Kopf ein bisschen aus wie Hulk Hogan kurz vor dem nächsten Kampf. Wir ziehen also die Schuhe aus, waten durch die Fußwaschbecken (zum Glück sind wir unter den Ersten und das Wasser noch sauber) und gehen durch das geschwungene Tor in die Palastanlage. Der Tempel, der komplett mit Blattgold belegt ist, wird vom sanften Licht der aufgehenden Sonne beleuchtet und sieht einfach nur wunderschön aus. Aus den Lautsprechern ertönen sanfte religiöse Gesänge und der Tempel spiegelt sich in dem ihm umgebenden heiligen See. Der Tempelkomplex ist riesig. In ihm befindet sich eine große Küche, Unterkünfte und Speisesäle für Pilger sowie unendlich viele Gebetsräume.
Ein Sikh – der Turban hat ihn verraten – kommt auf uns zu und verwickelt uns in ein Gespräch. Er sei Oberhaupt einer wichtigen Partei und freue sich immer Menschen aus anderen Ländern kennenzulernen und überhaupt wäre es ihm eine Ehre uns durch die Tempelanlage zu führen. Er sieht nett aus, also warum nicht. Er erzählt uns Geschichten über den Tempel, führt uns durch das Museum und bringt uns in eine Art Backstube, in der aus heißem Zuckersirup Kekse gemacht werden, die wir natürlich sofort kosten müssen. Wir verbringen bestimmt eine Stunde mit ihm, plötzlich kommen ein paar Männer auf uns zu und erklären uns energisch, dass dieser Mann – unser Guide – ein Betrüger ist und uns durch den Tempel führt um anschließend Geld von uns zu verlangen. Leider mussten wir solche Erfahrungen schon öfter machen und mittlerweile vermuten wir in jedem Inder einen Gauner. Wir ärgern uns, dass wir nicht einmal an einem heiligen Ort vor solchen zwielichtigen Gestalten Ruhe haben, andererseits haben wir eine Gratis-Führung durch den Tempel bekommen.
Es wird langsam Mittag und unsere Mägen verlangen Nahrung. Zum Glück werden im goldenen Tempel im 30-Minuten-Takt Gratis Mahlzeiten für alle Tempelbesucher ausgegeben. Insgesamt 30.000 Mahlzeiten pro Tag. Wir stellen uns in der Schlange für Besteck, Becher und Teller an und ab gehts in den Speisesaal. Wir setzen uns – wie es sich gehört – auf den Boden und warten bis die freiwilligen Helfer mit Kübeln durchgehen und uns mit der Kelle das Essen in die Metallschälchen klatschen. Das Festmahl besteht aus Rotis (indisches Fladenbrot), süßem Kokosreis und Linsencurry. Neben uns sitzen zwei junge Mädchen, die uns kichernd beim Essen zusehen.
Wir besichtigen gemeinsam mit unseren kichernden Sitznachbarinnen die Großküche, in der Freiwillige rund um die Uhr, Teig kneten, Rotis ausrollen und backen, abwaschen und in riesigen Behältnissen Linsencurry und Reis kochen. Und mit riesig meine ich wirklich riesig. Mannshohe Gefäße über Feuerstellen, in denen mit Rudern statt Kochlöffeln umgerührt wird und das Salz kiloweise verschwindet.

wie rührernd

Martin darf das Reisruder für ein paar Minuten übernehmen und rührt mit vollem Körpereinsatz den dampfenden, blubbernden Kokosreis, während Martina mit Annepret (die kichernde Sitznachbarin) Rotis aus Teig formt.
Nach dem Essen wollen wir für ein paar Minuten Ruhe genießen und die Atmosphäre des Tempels in uns aufsaugen. Doch leider ist das für Touristen unmöglich. Ständig werden wir von der Seite angequatscht „Where do you come from?“ „Do you like India?“ „Are you married?“ und so weiter und so fort. Nach einigen abgewehrten Gesprächsversuchen geben wir auf und fahren ins Hotel zurück.
Am nächsten Tag quetschen wir uns mit einem frisch (zwangs)verheirateten Ehepaar, einer Sikh-Familie mit zwei kleinen Kindern und einem Hindupärchen aus Delhi in einen Kleinbus und fahren zum Grenzübergang zu Pakistan um uns die „Border-Ceremonie“ anzusehen. Jeden Abend, seit 1959 wird zu Sonnenuntergang der Grenzübergang bei Whaga mit einer feierlichen Zeremonie geschlossen.

 

Der Stau beginnt schon einen Kilometer vor der Grenze und so müssen wir den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen. Tausende Inder und eine handvoll Touristen drängeln und schieben sich die Straße entlang auf den Grenzübergang zu. Plötzlich sperrt die Armee einen Teil der Straße ab, das Gedränge wird noch größer, Staub und Reizgas liegt in der Luft. Wir pressen uns unsere T-Shirts vor Mund und Nase und versuchen so schnell wie möglich das Nadelöhr zu passieren. Irgendwie hat das Ganze ein bisschen was von Flüchtlingslager. Frauen und Männer werden getrennt und durch diverse Sicherheitschecks geschleust.
Eine positive Überraschung ist, dass es für Touristen eine Sondertribüne gibt, von der aus wir gute Sicht auf die Zeremonie haben. Die Stimmung ist aufgeheizt, der Patriotismus sowohl auf indischer als auch auf pakistanischer Seite scheint keine Grenzen zu kennen. Kleinkinder bis Rentner schwingen die Fahnen ihres Heimatlandes und feuern mit heiserer Kehle die Armee an. Unterstützt von einen Animationsteam sind die Emotionen am Kochen. Die Soldaten auf beiden Seiten demonstrieren ihre Macht und Stärke mit eindrucksvollen, aggressiven Gesten, furchteinflößender Mimik und akrobatischen “Fuß-hoch-heb” Einlagen  – Martin ist begeistert bzw. versucht das Lachen zu unterdrücken. Zum Höhepunkt der Zeremonie werden die schweren Eisentore des Grenzübergangs zugedonnert und die Flaggen auf beiden Seiten eingeholt.
Die Zeremonie geht feierlich zu Ende, Inder und Pakistanis brüllen noch eifrig patriotische Sprüche während wir uns auf den Weg zurück zum Taxi machen.

 

Am nächsten Tag fahren wir dann mit dem Bus nach Dharamsala – little Tibet in India – um dort den Dalai Lama zu treffen. Mehr dazu aber das nächste Mal.

 

4 thoughts on “holy Amritsar”

  1. Danke für die ausführliche Schilderung des indischen Spritzgacks, wollte ich schon immer wissen :-)
    Aber ihr habt es schon abgerundet mit dem goldenen Tempel, boahhhh!
    Ich freu mich schon auf den Dalai Lama Bericht, ist ja alles sehr aufregend!
    Liebe Grüsse
    Marlene

  2. Loks like a lovely end to your time in India. Enjoy Indonesia. Myvdaughtervlked Flores a lot
    Steve

  3. Hi ihr 2 können in dem speziellen (Durch) Fall absolut mitreden und die Echtheit eurer Erlebnisse bzw. Erzählungen hiermit 100%ig bestätigen. Martin was glaubst was die Leute hier in Europa für so eine “Entschlackungskur” hinblättern würden ? Wieviel Kilo hast den verloren ?….. Danke für den coolen Bericht und die echt schönen Fotos. Wir freuen uns immer von euren abenteuerlichen Neuigkeiten zu hören bzw. zu lesen. Bis zum naxten moi schene Griass aus Tirol;

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