Unser nächstes Ziel ist Trichy – das eigentlich Tiruchirappalli heißt was wir aber nicht aussprechen können. Die Strecke Mettapaluyam – Trichy legen wir in knapp sechs Stunden mit dem Zug zurück, für den wir mit ein bisschen Glück kurzfristig noch Tickets ergattern konnten. In unserem Abteil sitzen bereits Ranjini und ihre Mutter, die gerade von einer Hochzeit im Süden zurück in ihre Heimatstadt Chennai fahren und schon seit einigen Stunden unterwegs sind. Man kommt schnell ins Gespräch und plaudert über allgemeinen Dinge wie Saris, Essen und Sehenswürdigkeiten.  Die beiden erzählen uns aber auch viel über heikle Themen wie Religion, Frauen in Indien, die Abtreibung weiblicher Föten und arrangierte Ehen. Ranjinis Mutter erzählt uns, dass sie Ihren Ehemann am Tag der Hochzeit zum ersten Mal gesehen hat. Mit einem Lächeln im Gesicht und einem Augenzwinkern sagt sie, dass die Zeiten sich aber langsam ändern und Ranjini sich ihren zukünftigen Ehemann selbst aussuchen darf.

In Trichy angekommen, checken wir im Hotel Ashby ein, welches im Reiseführer – dem wir ab jetzt nichts mehr glauben – als sauber angepriesen wird. Dass in günstigen Unterkünften alles ein bisschen siffig ist, kein warmes Wasser vorhanden und die Toilette nach Pisse stinkt, daran haben wir uns schon gewöhnt. Mitbewohner wie Moskitos, Spinnen und Ameisen stören uns auch nicht wirklich, aber als eine Maus durchs Zimmer flitzt waren wir dann doch ein bisschen überrascht. Um uns wirklich daran zu stören sind wir aber wohl schon zu lange in Indien, denn das Gespräch lief ungefähr so ab: Mann: Was war das? Frau: Wo? Mann: Da! Eine Maus. Frau: Maus oder Ratte? Mann: Maus. Frau: Ach so…

Trotzdem bieten sich die Zimmer dazu an eine kleine Bildserie zu produzieren mit dem Titel : “Präpotenz”.

Nachdem sich das Gesicht von Martin wieder normalisiert hat, machen wir uns auf den Weg Trichy zu entdecken.

Trichys Hauptsehenswürdigkeit Rock Fort, eine ehemalige Festungsanlage auf einem 83 Meter hohen Felsen, müssen wir uns natürlich unbedingt ansehen. Es lohnt sich die knapp 450 Stufen raufzukeuchen, denn oben angekommen hat man einen atemberaubenden Ausblick. Vor allem kurz vor Sonnenuntergang wenn die ganze Stadt in rötliches Licht getaucht ist. Hier lernen wir Love – ja, der heißt wirklich so – und Abhijeet zwei Studenten aus dem Norden Indiens kennen. Love hat ganz außergewöhnliche blaugraue Augen, und ist überhaupt der erste hübsche Inder den wir bisher getroffen haben. Aber das ist Geschmackssache. Man plaudert eine Stunde auf den Stufen die zum Tempel hinaufführen, bevor die Beiden auch schon wieder los müssen.
Am nächsten Tag fahren wir zu einer Privatschule ein bisschen außerhalb von Trichy. Unsere Befürchtung den Schulbetrieb zu stören, verfliegt sofort, als uns die Direktorin herzlich begrüßt und uns Tee und Kekse serviert bevor sie uns durch die ganze Schule führt. CREA Children’s Academy  unterrichtet insgesamt 611 Kinder. Auf dem Stundenplan stehen nicht nur essentielle Gegenstände wie Hindu, Tamil, Englisch, Mathematik, Chemie und Physik sondern auch traditioneller Tanz, Karate und Yoga wo sich die Kinder so richtig austoben können.
Im ersten Klassenzimmer wird gerade Karate unterrichtet. Die Burschen wirbeln nur so durch die Luft, schlagen Purzelbäume über Stühle, landen wieder auf den Beinen und versetzen Ihrem „Angreifer“ schmerzhaft aussehende Fußkicks. Das Ganze sieht aus wie eine Szene aus einem Jackie-Chan-Movie. Einzig die passende Vertonung fehlt noch.

 

In einem anderen Klassenzimmer tanzen junge Mädchen rhythmisch zu Bollywood-Klängen. Anders als die Burschen, die sich total aufgeregt vor Martins Kamera drängeln und schubsen weil jeder eine Nahaufnahme seines Grinsens haben will, sind die Mädchen anfangs etwas schüchtern und kichern hinter vorgehaltener Hand.
Wir bleiben ein paar Stunden, schütteln tausend Hände, geben unzählige High-Fives, beantworten zirka dreihundert Mal die Frage „What’s your name?“  und haben viel Spaß mit den Kids. Völlig überwältigt von den vielen Eindrücken sagen wir sofort begeistert zu, als uns die Direktorin zu dem jährlichen Schulfest einlädt, das zwei Tage später stattfindet.

 

 

Obwohl wir Trichy eigentlich noch am selben Tag verlassen wollten, haben wir nun eine Ausrede unser Hotelzimmer der Maus zu überlassen und für zwei Nächte im nobelsten Hotel der Stadt einzuchecken. Wir genießen eine lange heiße Dusche, bestellen Club-Sandwiches und Pommes beim Room-Service und schauen uns im superbequemen Bett die neuesten Folgen von „How I met your Mother“  am Flatscreen-TV an. Hell Yeah! Luxus Baby! (Und das für ca. 30 Euro pro Nacht)
Am Samstag Nachmittag fahren wir zu dem Schulfest und werden als Ehrengäste auf die Bühne gebeten. Wir werden offiziell als die „Friends from Austria“ vorgestellt. Auf der Bühne sitzen wir neben dem Stadtschulrat , dem Direktor der Schule, dem Chairman und wichtigen Sponsoren vor ungefähr tausend Eltern und Großeltern der Schüler  und Martina schämt sich ein bisschen in ihren Backpacker-Klamotten und wünscht sie hätte sich zumindest ein bisschen schick gemacht. Konnte ja keiner wissen dass wir auf die Bühne müssen…Martin wird sofort als Schulfestfotograf eingeteilt während Martina den Kiddies die Ehrenurkunden überreichen darf.
Nach dem offiziellen Teil und einigen langen Reden (gähn) der „richtigen“ Ehrengäste beginnt der lustige Teil der Veranstaltung. Den Anfang machen die Kleinsten, die in ihren Häschen-, Pfau- und Pinguinkostümen zu Kinderliedern singen und über die Bühne hopsen. Martina überlegt ob eines von den Häschen in ihren Rucksack passen würde und erntet für diese Aussage einen schockierten Blick des Stadtschulrates. Die älteren Mädchen schweben kunstvoll geschminkt in wunderschönen Saris über die Bühne und die Burschen zeigen traditionelle Stammestänze.  Auch ein Sozialdrama – bei dem Indiens Probleme wie das Kastensystem, Korruption, Konsumdenken und Bestechung thematisiert werden und ein „Robo Dance“ werden vorgeführt.
Wenn über 600 Kinder ihre Bühnenzeit einfordern kann das sehr sehr sehr lange dauern und obwohl die Kinder supersüß sind und das einstudierte Programm wirklich unterhaltsam ist, reicht es uns nach knapp fünf Stunden und wir verabschieden uns höflich. Unser schlechtes Gewissen vorzeitig zu gehen hält sich in Grenzen da die anderen Ehrengäste sich schon vor Stunden aus dem Staub gemacht haben.
Weil Martin es mit der Klimaanlage ein bisschen zu gut meint, wird er am nächsten Tag krank und bekommt hohes Fieber. Wir stornieren unsere gebuchten Zugtickets und bleiben ein paar Tage länger in unserer Luxusoase, bestellen noch mehr Room-Service und Martin zieht sich Zombie Serien rein, bis er wieder fit ist um sich in seinen heiß erwarteten Nilgiri Toytrain zu schwingen. Aber dazu das nächste Mal …

5 thoughts on “Jackie Chan, das Häschen und der Pfau”

  1. wahnsinn!!!
    einer der bisher lustigsten und farbenfrohesten berichte! danke! so schöne lächelnde gesichter!!!
    und die bodenleger waren sehr interessiert an eurem kokos
    mattenweber!
    macht nur weiter so!

  2. hallo ihr zwei!tolle Bilder und superinteressant Bericht.hab gerade gelesen das morgen dieses farbenfest in ganz Indien ist.holi nennen sie das.das ist ja mal verrückt!!ich hoffe ihr kriegt was davon mit und fotografiert was davon?:-)
    glg

    1. hey julia!
      jep, für holi sind wir extra von goa nach ahmedabad geflogen und stürzen uns in ein paar minuten ins getümmel =) Neonfarben inklusive! =D

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